Anfang des Jahres habe ich zwei Fahrrad-Dashcams hier im Blog vorgestellt und getestet. Das Thema hat mich seitdem nicht mehr losgelassen und zwischenzeitlich hat sich für mich die Gelegenheit ergeben, mit der neuen Insta360 X5 auszuprobieren, wie sich eine 360-Grad-Kamera für diesen Zweck eignet. Über den Sinn und Zweck oder die Legalität von Dashcams kann man natürlich immer diskutieren, aber darum soll es an dieser Stelle ausdrücklich nicht gehen.
Insta360 ist eine mittlerweile etablierte chinesische Marke für Action-Kameras und das börsennotierte Unternehmen dahinter (Arashi Vision Inc.) hat seinen Hauptsitz in Shenzhen. Die hier getestete Insta360 X5 (kurz X5) verfügt über ein längliches Gehäuse mit jeweils einer hervorstehenden 180-Grad-Linse auf beiden Seiten (2 x 180 = 360). Das Gehäuse verfügt insgesamt 4 Tasten und einen wirklich gut zu bedienenden Touchscreen. Unten am Gehäuse befinden sich ein 1/4-Zoll-Gewinde aus Metall und eine proprietäre Halterung aus Kunststoff. Ansonsten gibt’s natürlich noch ein verbautes Mikrofon und 2 Gehäuseöffnungen (1x Strom und 1x Akku und microSD).
Maximal kann die X5 mit einer Auflösung von 8k und 30 Bildern pro Sekunde aufnehmen. Diese Einstellung habe ich während meines Tests übrigens auch hauptsächlich gewählt, weil ich einfach bei den aufgenommen Inhalten auch heranzoomen können möchte. Selbstverständlich sind auch andere Einstellungen mit weniger Auflösung und höherer Bildrate möglich, aber das muss jeder für sich wissen.
Da die X5 als Actionkamera vermarktet wird, muss man sich grundsätzlich um Kälte, Hitze und Wasser keine Sorgen machen.
Der große Vorteil einer 360-Grad-Kamera ist einfach – und das machte sie für mich als Dashcam interessant – , dass man wirklich alles um die Kamera herum auf einmal mit einem einzigen Gerät aufnimmt. Es gibt zwar einen kleinen „toten Winkel“ im Bereich der sogenannten Stitching-Line (also dort, wo die beiden 180-Grad-Bilder aufeinandertreffen) – aber der ist in der Praxis zu vernachlässigen.
Im Gegensatz zu einer normalen Kamera wird halt wirklich 360 Grad aufgenommen. Das heißt, bei der Aufnahme wird das eigene Handeln auch festgehalten (Bremsverhalten, Beschleunigung, Handzeichen etc.). Das kann einen selbst im Fall der Fälle zusätzlich entlasten, sofern man sich denn selbst an die Spielregeln im Straßenverkehr hält.
Außerdem hat man durch die 360 Grad gegenüber einer normalen Dashcam eher die Chance, ein Kennzeichen oder eine Person zu erkennen, weil eben automatisch vor, hinter und neben einem alles aufgenommen wird.
Kommen wir aber mal zu meinen tatsächlichen Eindrücken und Gedanken zur Insta360 X5 im Alltag als Fahrrad-Dashcam:
Befestigung am Fahrrad
Um die optimale Befestigung der Kamera mit ihrer länglichen Form am Fahrrad habe ich mir viele Gedanken gemacht. Für die beste Rundumsicht wäre eine Befestigung am Helm natürlich am besten. Allerdings ist mir persönlich das zu auffällig und zu unsicher. Eine am Helm befestigte Kamera kann im Falle eines Unfalls negative Auswirkungen auf die Effektivität eines Helmes haben und deswegen würde ich immer davon abraten. Außerdem ist die X5 recht schwer (200 Gramm), sodass man sie am Helm auch deutlich spürt.
Letztendlich habe ich mit einem GorillaPod mal verschiedene Positionen durchprobiert:
Am Lenker und im vorderen Bereich des Fahrrads sind eigentlich alle Stellen gut. Nach hinten verdeckt man dann eben die Sicht mit seinem Körper etwas.
Bei einer Montage zwischen den Beinen im Bereich der Flaschenhalter hat man eine überraschend gute Sicht in alle Richtungen und noch dazu ist diese Position sehr unauffällig während der Fahrt. Hier ist die Sicht nach vorne und hinten leicht eingeschränkt, wobei man sich die oben genannte Stitching-Line auch etwas zunutze machen kann.
Und hinten am Fahrrad hat man logischerweise eine ungestörte Sicht auf alles, was hinter einem passiert. Allerdings ist dann nach vorne immer irgendwas im Weg, sodass ich selbst eine Befestigung vorne am Fahrrad gewählt habe.
Mit dem 1/4-Zoll-Gewinde kann man die X5 sehr sicher an entsprechende Halterungen anschrauben. Hier gibt’s von Insta360 diverse mögliche Zubehörlösungen oder auch von Drittanbietern. Allerdings lässt sich eine festgeschraubte Kamera nicht mal schnell bei Bedarf abnehmen. Für mich war an dieser Stelle eine Schnellspannhalterung aus dem Zubehörkatalog von Insta360 der Gamechanger. Ich hatte den kompakten X5 Quick Release Mount während des Tests da, würde aber wohl eher den Quick Release Mount 2.0 empfehlen, weil der die proprietäre Halterung aus Kunststoff unten an der Kamera nicht verschleißt. Aber man muss schon sagen: Die kleine Schnellspannhalterung ist aus Metall gefertigt und macht einen echt soliden Eindruck (ist aber auch nicht ganz billig). Zurzeit sind die Original-Halterungen aber in Deutschland alle ausverkauft.
Straßenmodus
Auch wenn die X5 nicht als Dashcam entwickelt wurde, ist sich der Hersteller einer Umwidmung zu einer solchen durchaus bewusst und hat auch einen sogenannten „Straßenmodus“ integriert. In diesem Modus kann man einen (relativ) frei definierbaren Platz auf der microSD-Karte für die Dashcam-Aufnahmen zuweisen, der dann fortlaufend überschrieben wird. Eine solche Begrenzung kann sinnvoll sein, wenn man sich die Speicherkarte nicht nur mit Dashcam-Videos „zumüllen“ will und zwischendurch noch Platz für andere Aufnahmen haben möchte. Im Straßenmodus werden immer 1-Minuten-Segmente aufgenommen, man kann ein Wasserzeichen einschalten und die üblichen Auflösungen zur Aufnahme einstellen (und dadurch potentiell die Akkulaufzeit erhöhen – s.u.).
Eine gibt auch eine Option, dass die Aufnahme automatisch startet, wenn die Kamera an den Strom angeschlossen wird. Damit könnte man sich die X5 als vollautomatische Dashcam im Auto einrichten.
Akku
Die Akkulaufzeit ist für eine Actionkamera ordentlich und reicht durchaus für die Aufnahme des Pendelns unter der Woche aus – für mehrstündige Touren reicht es allerdings nicht ganz. Ich habe jetzt kurz vor dem Verfassen dieses Textes nochmal einen Trockenlauf mit neuestem (Sommer-)Firmwareupdate und einer Stoppuhr bei mir zuhause gemacht und bin bei 8k/30 und aktiviertem Stromsparmodus auf etwa 1:45 Stunden gekommen. Ich komme damit in meinem Alltag auf 1 Woche Nutzung ohne Aufladen, aber das ist natürlich sehr individuell.
Ein Vorteil bei der X5 ist – zum Beispiel im Vergleich zur Cycliq – der wechselbare Akku. Wenn man hier mehrere „auf Vorrat“ dabei hat, kann man schon wirklich lange Touren aufzeichnen. Und da der Akku nicht fest verbaut ist, hat man auch mit Verschleiß kein Problem. Man muss dann nicht gleich die ganze Kamera in den Elektroschrott werfen, sondern kann einfach einen neuen Akku einbauen.
Während meines Tests ist auch ein neuer Ultra-Akku erschienen, der etwas mehr Laufzeit verspricht. Diesen Akku habe ich allerdings nicht getestet.
Bildqualität
Die Bildqualität der Insta360 X5 ist für den Einsatz als Fahrrad-Dashcam hervorragend. Bei meiner gewählten Einstellung (8k/30) konnte ich bei Tageslicht immer alle Details erkennen – man kann auch gut reinzoomen. Ist ja nun mal schließlich auch eine moderne Action-Kamera, da darf man das auch erwarten. Man sollte die Kamera nur so ausrichten, dass die Stiching-Line eher an unwichtigen Stellen im Bild ist.
Persönlich beeindruckend fand ich die Bildstabilisierung, immerhin erfolgt das ja alles elektronisch: Das Bild ist echt ruhig und scharf, selbst wenn Fahrrad und Kamera extrem wackeln. Da wird im Hintergrund ordentlich gerechnet, was man auch an der Wärmeentwicklung der Kamera merkt.
Bei Dunkelheit gehen Details gerade auf die Entfernung aber schon stärker verloren. Da muss man sich dann schon die richtigen Frames raussuchen, um ein scharfes Kennzeichen zu finden. Aber das ist ja bei der Dashcam von Cycliq im Dunkeln auch so. Was mich hier ein bisschen gestört hat: im Straßenmodus ist der PureVideo-Modus (Nachtmodus) nicht verfügbar. Damit würden die Aufnahmen bei Dunkelheit etwas besser werden, zumal es die Kamera eigentlich auch ohne Weiteres kann. Vielleicht kann der Hersteller das ja mal mit einem Software-Update nachreichen.
Bedienung
Wirklich toll finde ich die Bedienung am Fahrrad: Wenn man einmal alles eingestellt hat, dann braucht man wirklich nur noch eine Taste zum Ein- und Ausschalten (und zwar den Kreis links unter dem Display). Die Aufnahme startet und endet dann automatisch. Die besagte Taste ist außerdem noch haptisch hervorgehoben und lässt sich auch mit dicken Handschuhen einwandfrei drücken. Zusätzlich gibt es jeweils auch noch einen Sound aus dem Lautsprecher, sodass man auch ohne Hinsehen weiß, dass die Kamera jetzt an oder eben aus ist.
Die Bedienung des Touchscreens für die Einstellungen etc. ist auch einwandfrei: Das Display sieht gut aus, ist relativ hochauflösend und die Benutzeroberfläche ist so flüssig wie bei einem modernen Smartphone.
Die Apps fürs Handy und den PC erschlagen einen dagegen etwas und da muss man sich in die Bedienung am besten mit YouTube-Videos ein bisschen reinfuchsen. Mit der mobilen App kann man auch Kennzeichen unkenntlich machen und an sich funktioniert das auch alles automatisch, allerdings wird der Unschärfe-Effekt bei vorbeifahrenden Autos oftmals erst zu spät eingeblendet und zu früh wieder ausgeblendet. Dann sieht man das Kennzeichen trotzdem.
Linsen
360-Grad Kameras egal welcher Marke, haben halbkugelförmige hervorstehende Linsen, die dadurch sehr anfällig für Kratzer und vor allem Brüche sind. Wenn die Kamera auf den Asphalt fällt, ist die Chance recht hoch, dass die Linse danach zerbrochen ist. Mit der Insta360 X5 hat man wechselbare Linsen eingeführt (ab 36 Euro im Shop). Die kann im Schadenfalls selbst tauschen und hat dann eben nicht 500 Euro an Elektroschrott produziert.
Das ist definitiv einer der größten Vorteile der X5 gegenüber früheren Modellen und aktuellen Konkurrenzprodukten. Eine 360-Grad-Kamera ohne wechselbare Linsen würde ich persönlich nicht kaufen. Die ebenfalls neue DJI Osmo 360 hat beispielsweise keine wechselbaren Linsen, die demnächst erscheinende GoPro Max 2 wird dagegen welche haben.
Ich hatte das Ersatzlinsen-Kit für die X5 da und kann sagen: Mit dem mitgelieferten Werkzeug ist das eigentlich für jeden zu machen.
Undercover?
Was man beim Einsatz der X5 allerdings auch bedenken sollte: Eine 360-Kamera fällt einfach auf und wenn sie einem etwas Wert ist, dann sollte man sie, wenn man das Fahrrad irgendwo im öffentlichen Raum hingestellt hat, auch abmontieren. Deswegen war mir die oben erwähnte Schnellspannhalterung auch so wichtig.
Die von mir Anfang des Jahres getestete Kamera von Cycliq geht dagegen gut und gerne als batteriebetriebener Scheinwerfer durch und weckt nicht so schnell das Interesse von potentiellen Dieben.
Schlechtes Wetter?
Wer nicht nur bei schönem Wetter unterwegs ist, sollte immer drauf achten, dass die Kamera auch etwas sieht. Denn sonst hat man zwei wunderbare Linsen, die zwar alles aufnehmen, aber voll mit Wassertropfen oder Schnee sind. In dem Fall nützen einem die Aufnahmen am Ende im Fall der Fälle möglicherweise nämlich nichts mehr. Durch Bauform mit den beiden Linsen ist das schnelle Abwischen mit der Hand nicht ganz so einfach wie beispielsweise der Dashcam von Cycliq.
Notfallsituation
Man muss sich mal ein bisschen Gedanken machen, für welche Situationen man eine Dashcam haben will und was man mit den aufgenommen Dateien macht. Die Insta360 X5 produziert mit den insv.-Dateien zunächst einmal ein exotisches Dateiformat. Wenn man nach einem schwereren Unfall nicht selbst in der Lage ist, das Videomaterial auszuwerten und jemand Drittes (Angehörige, Polizei) findet die Kamera, wird er mit den Dateien vielleicht nichts anzufangen wissen. Das kann je nach Situation gleichermaßen Vor- und Nachteile haben. Ich denke mal, dass in einem solchen Notfall eine Auswertung trotzdem irgendwann erfolgen wird (man muss ja nur mal kurz googeln), aber eben nicht sofort.
Ein anderer Aspekt, den man beachten sollte: Die X5 ist eigentlich eine Action-Kamera und verfügt dementsprechend nicht über eine Unfallerkennung, die das Überschreiben bereits aufgenommener Videodateien verhindert, indem diese dann einen Schreibschutz erhalten. Wenn man als Fahrradfahrer also im Straßengraben landet und dort liegen bleibt, dann läuft die Kamera so lange weiter bis sie leer ist und überschreibt bei Speicherplatzmangel möglicherweise die entscheidende Szene. Die Lösung hierfür ist relativ simpel, dürfte aber deutsche Datenschützer auf die Palme bringen: Man wählt eine Speicherkarte, die so groß ist, dass die X5 sie mit einer Akkuladung gar nicht komplett vollschreiben kann.
Dokumentation
Im beschriebenen Straßenmodus wird automatisch eine Art Wasserzeichen mit Datum und Uhrzeit in die Video-Datei geschrieben und angezeigt, wenn man sie mit der mobilen App oder der Desktop-App von Insta360 öffnet. Das ist gut und für eine Dokumentation des (Unfall-)Geschehens wichtig. Allerdings ist das Wasserzeichen nach dem Export der Videodatei in ein „normales“ Dateiformat wieder verschwunden.
Die X5 verfügt außerdem nicht über ein eigenes GPS. Dadurch haben alle aufgenommen Bilder und Videos grundsätzlich erstmal keine hinterlegten Standortdaten. Wenn die Kamera während der Aufnahme mit dem Handy oder z.B. der Apple Watch verbunden ist, dann kann sie sich das GPS allerdings darüber ziehen (ist jedoch eher unrealistisch bei dem Einsatzszenario als Dashcam).
Man kann jedoch in der mobilen App extern aufgezeichnete Daten (in meinem Fall Trainingsdaten von der Apple Watch) ins Video einbetten. Interessant dürfte hier vor allem die Geschwindigkeit sein. Trotzdem ist das natürlich am Ende eine nachträglich veränderte Video-Datei und vielleicht eher was fürs private Archiv als für die Gerichtsakten:
Fazit
Die Insta360 X5 hat mich im Einsatz als Fahrrad-Dashcam überzeugt. Zwar ist die Akkulaufzeit mit knapp unter zwei Stunden in der höchsten Auflösung (8k/30) nicht überragend, aber für den täglichen Arbeitsweg unter der Woche reicht das bei mir. Mit Ersatzakkus oder einer Powerbank kann man auch längere Touren machen.
Die Bildqualität, der einzigartige Rundumblick, die einfache Bedienung am Fahrrad und die Bildstabilisierung sind echte Stärken. Auch die Tatsache, dass man die Kamera für andere Zwecke weiterverwenden kann (etwa z.B. auf Reisen oder als klassische Action-Kamera), macht sie zu einer sehr vielseitigen Allroundkamera.
Mit rund derzeit 590 Euro bei Amazon ist die X5 allerdings kein Schnäppchen und das Geld muss man erstmal haben. Wer dann noch in Zubehör investiert – etwa für Selfie-Sticks, Ersatzakkus, Halterungen, Linsenschutz etc. – kann schnell nochmal einige hundert Euro loswerden. Das sollte man bei der Kaufentscheidung bedenken.
Wer sich aber für Technik interessiert, flexibel bleiben möchte und bereit ist, etwas mehr Geld zu investieren, bekommt mit der X5 eine leistungsfähige Lösung – und zwat nicht nur fürs Fahrrad.