Das Stellantis IVI: Hardware im Labyrinth der Software-Pflege

Der Marktstart der neuen Stellantis-Generation – angeführt vom Opel Astra L, dem Peugeot 308 III, sowie Modellen wie dem Opel Mokka, Grandland und dem Peugeot 408 – markierte 2022 einen Wendepunkt. Endlich hielt eine moderne Infotainment-Architektur Einzug, die mit der trägen Vorgängergeneration nichts mehr zu tun hatte.

Angetrieben von starken Prozessoren, reagiert das neue IVI (In-Vehicle Infotainment) System meist flüssig, sieht schick aus („Pure Panel“ bei Opel, „i-Cockpit“ bei Peugeot) und bietet Wireless CarPlay/Android Auto. Doch wer tiefer gräbt und das Auto im Alltag nutzt, stößt auf eine Welt voller Software-Mysterien, unlogischer UX-Entscheidungen und einer Update-Politik, die eher an das Jahr 2010 erinnert als an das Zeitalter der „Software Defined Vehicles“.

Wir leben in einer Zeit, in der Tesla-Fahrer morgens ins Auto steigen und plötzlich eine neue Funktion haben – sei es ein neuer Streaming-Dienst oder eine verbesserte Visualisierung. Auch die Volkswagen-Gruppe hat nach dem Desaster des Golf 8 gelernt und liefert mittlerweile, wenn auch mühsam, regelmäßiger Versionen nach, die einige Verbesserungen bringen. Bei Stellantis hingegen herrscht oft Funkstille.

Innovationen per Update nachgeliefert zu bekommen, ist bei der IVI-Plattform aktuell ein Wunschtraum. Die Devise scheint zu lauten: Bugfixing ja (vielleicht), Feature-Drop nein. Das System, mit dem das Auto ausgeliefert wurde, ist im Wesentlichen das System, mit dem es eines Tages verschrottet wird.

Wer versucht, in Foren (wie Motor-Talk, Peugeot-Board oder Astra-L-Forum) herauszufinden, welche Software „aktuell“ ist, landet im Chaos. Es gibt keine klare „Version 2.0“. Stattdessen kursieren kryptische Nummernfolgen, und gefühlt hat jeder Nutzer eine andere Kombination installiert. Dabei gibt es sogar zwei Softwareversionen für unterschiedliche Bereiche:

Das IVI-System (Head Unit)

Das ist das, was wir auf dem Bildschirm sehen. Die Benutzeroberfläche, das Navi, das Radio. Hierfür gibt es Updates, die oft mehrere Gigabyte groß sind.

BSRF-Modul (Boîtier de Servitude Radio Fréquence)

Hier liegt der technische Hund begraben. Das BSRF ist die Kommunikationseinheit (Telematic Control Unit). Sie ist zuständig für:

  • Die 4G-Datenverbindung.

  • Den Empfang der OTA-Updates.

  • Die Ansteuerung der SOS-Notruffunktion.

  • Teilweise die Sprachsteuerung.

Es gibt Updates für das IVI und separate Updates für das BSRF. Wenn diese Versionen (Firmware) nicht harmonieren, entstehen die seltsamsten Fehler. Ein weit verbreitetes, aber oft unerkanntes Problem betrifft genau dieses BSRF-Modul. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen die Kommunikationseinheit hardwareseitig defekt ist oder sich softwareseitig „aufhängt“, da ein Zertifikat fehlt.

Viele Astra L Besitzer mussten das BSRF-Modul/Antenne in der Werkstatt tauschen lassen, wenn man ins Forum schaut. Erst nach diesem Hardware-Eingriff war das Fahrzeug wieder in der Lage, mit den Stellantis-Servern zu kommunizieren und auch eventuelle Updates zu finden.

Als Fahrer eines oben genannten Opel Astra muss ich zugeben: Das Auto fährt sich hervorragend. Es ist leise, komfortabel und das Infotainment läuft stabiler und flüssiger als in meinem vorherigen VW Golf 8 (der berüchtigt für seine Software-Abstürze war). Aber Stabilität ist nicht gleich Intelligenz. Es gibt kleine Bugs und „Features“, die im Alltag einfach keinen Sinn ergeben und zeigen, dass die Entwickler ihre eigenen Autos wohl selten im Alltag nutzen.

Mal ein paar Beispiele die mich persönlich stören:

Das Radio-Logo-Dilemma

In einer vernetzten Welt sollten sich Senderlogos automatisch aktualisieren. Beim Stellantis IVI scheinen diese jedoch fest in einer Datenbank im System hinterlegt zu sein. Ändert ein Sender sein Logo, hat man für immer das alte Bild auf dem Display.

  • Lösungsmöglichkeit: Ein einfaches OTA-Update der Datenbank.

  • Realität: Da Updates rar sind, bleiben die Logos alt. Manuelle Updates durch den User? Nicht vorgesehen.

Die Sitzheizungs-Amnesie (oder das Gegenteil)

VW löst das Thema Sitzheizung mit einer Timer-Logik: Steigt man aus und innerhalb von ca. 30 Minuten wieder ein, merkt sich das Auto die letzte Stufe. Steht das Auto länger, ist sie aus. Logisch.

Bei Stellantis erlebt man oft folgendes: Man fährt abends mit Sitzheizung nach Hause. Am nächsten Morgen steigt man ein, und die Sitzheizung springt sofort wieder an. Oder noch absurder: Der Beifahrer steigt aus, man fährt weiter, parkt das Auto. Am nächsten Tag steigt man alleine ein und die Beifahrer-Sitzheizung aktiviert sich wieder, obwohl dort niemand sitzt. Warum gibt es hier keine Sitzbelegungserkennung, die das Feature koppelt?

Der „Party-Modus“ am Morgen (Einschaltlautstärke)

Ein Klassiker der Software-Ergonomie ist die konfigurierbare „Maximal-Einschaltlautstärke“. Fehlt diese, passiert Folgendes: Man kommt abends nach Hause, hört laut Musik, parkt das Auto und geht schlafen. Am nächsten Morgen, 6:00 Uhr, auf dem Weg zur Arbeit: Zündung an -> WACH. Das Radio brüllt mit der Lautstärke des Vorabends los.

  • Aufwand für den Fix: Wenige Zeilen Code.

  • Status: Nicht vorhanden.

Das akustische Zwangsbeglückung (Keyless Go Hupen)

Keyless Go („Open & Start“) ist komfortabel. Doch Stellantis hat sich entschieden, das Verriegeln des Fahrzeugs beim Weggehen mit einem lauten, kurzen Hupen/Piepen zu quittieren.

  • Das Problem: In ruhigen Wohngebieten oder nachts ist das extrem störend. Manche Nutzer finden es peinlich.

  • Die fehlende Option: Es gibt im Menü keinen Schalter „Akustische Rückmeldung aus“. Man kann es nicht deaktivieren.

  • Die Verzweiflungstat: Nutzer sind so genervt, dass sie – wie im Fall einer Arbeitskollegin – in die Werkstatt fahren oder selbst Hand anlegen, um den entsprechenden Signalgeber hardwareseitig abzuklemmen. Wenn Kunden Hardware ausbauen müssen, um Software-Defizite zu umgehen, läuft etwas falsch.

Fazit: Gute Basis, verschenktes Potenzial

Man muss fair bleiben: Das Stellantis IVI ist kein schlechtes System. Wer vom Golf 8 kommt, atmet oft auf, weil die Grundfunktionen (Navi, Apple CarPlay, Bedienfluss) meist zuverlässiger laufen. Die Hardware-Basis stimmt. Doch die Software-Pflege und die Liebe zum Detail hinken dem Anspruch eines modernen Autos hinterher. Die Fragmentierung der Versionen, die Probleme mit der BSRF-Hardware und das Fehlen simpler „Quality of Life“-Features (Lautstärkelimit, Logo-Updates, konfigurierbare Töne) trüben das Bild.

Der Appell an Stellantis: Die Hardware ist da. Die Autos sind schön. Bitte schaut euch ab, was Tesla (und mittlerweile auch andere chinesische Hersteller) beim Thema Software machen.

  1. Bringt Transparenz in die Versionen.

  2. Liefert echte OTA-Features, nicht nur Bugfixes.

  3. Hört auf das Feedback der Community

Bis dahin bleibt das Astra L Cockpit ein schöner Platz mit kleinen, aber nervigen Eigenheiten, die man wohl oder übel akzeptieren muss. Die Presseabteilung hat sich übrigens auf eine Mail, die ich vor einigen Wochen geschrieben hat, nicht gemeldet. Ich hätte gerne erfahren, ob es Neuerungen oder geplante Updates gibt oder wie man das Feedback der Community sieht. Naja, vielleich reagiert man ja jetzt.

Das Stellantis IVI: Hardware im Labyrinth der Software-Pflege
zurück zur Startseite

4 Kommentare zu “Das Stellantis IVI: Hardware im Labyrinth der Software-Pflege

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Hiermit akzeptiere ich die Datenschutzerklärung für diesen Kommentar.

Aktuelle News auf Deskmodder.de
alle News anzeigen
Deskmodder